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01.09.2016

Freihandel auf dem Prüfstand


Dieser Text ist vom 01.09.2016 und könnte inhaltlich veraltet sein.

TTIP in der Warteschleife, der Brexit im Anflug – Wie regionale Unternehmen die Unsicherheiten des Weltmarkts meistern

Die Rechnung ist einfach: Je weniger Handelsbarrieren bestehen, desto besser ist das für die regionale Wirtschaft. Während TTIP nach 14 Verhandlungsrunden noch lange nicht in trockenen Tüchern ist, kommt mit dem Brexit schon die nächste Herausforderung auf Europa zu.

Bei der Welthandelsorganisation sind fast 600 Freihandelsabkommen gemeldet, 350 davon sind aktuell in Kraft. Das Prinzip ist uralt. Der älteste noch bestehende Freihandelsvertrag wurde bereits 1373 zwischen England und Portugal geschlossen. In Deutschland gilt die Hanse als Vorreiter moderner Abkommen. Bereits 1241 schlossen sich viele Städte an Flüssen und Seen zusammen, um den Handel leichter und sicherer zu machen.
Während das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen den USA und der EU nach drei Jahren und 14 Sitzungsrunden noch in Verhandlungen weilt, kommt auf die Europäer bereits die nächste Herausforderung zu.

Großbritannien wichtiger Handelspartner
Fast 52 Prozent der Briten waren sich am 23. Juni 2016 einig: Großbritannien soll aus der Europäischen Union austreten. Obwohl die ökonomischen Folgen noch nicht genau zu beziffern sind, ist eines klar: Eine Isolation der Insel würde letztlich auch der deutschen Wirtschaft schaden. Für regionale Unternehmen ist Großbritannien der viertwichtigste Auslandsmarkt. Nur Frankreich, die USA und die Niederlande nehmen derzeit mehr Exporte aus der Region ab.
 
Kurz nachdem der Brexit beschlossen wurde, reagierten die rheinland-pfälzischen Industrie- und Handelskammern mit einer Blitzumfrage. Fast drei Viertel der Unternehmen, die Handelsbeziehungen mit Großbritannien pflegen, rechnen in den kommenden zwei Jahren nicht mit einem Rückgang der Exporte. Solange würde es dauern, bis die Austrittsverhandlungen abgeschlossen sind.

Ohne Abkommen drohen wieder Zölle

Nach Ablauf der Frist hängt vieles davon ab, inwiefern sich Großbritannien und EU auf ein Handelsabkommen einigen werden. Freier Warenverkehr, Dienstleistungsfreiheit, Personenfreizügigkeit und freier Kapital- und Zahlungsverkehr: Der Brexit bedeutet nämlich, dass die vier Grundfreiheiten gegebenenfalls nicht mehr in vollem Umfang gelten würden.
 
Die möglichen Folgen: Zollverfahren müssten wieder eingeführt werden, Dienstleistungen könnten nur nach komplizierten Verfahren erfolgen und Gesellschafter einer Limited mit Sitz in Deutschland hätten ein höheres Haftungsrisiko. Außerdem müssen die verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten die fehlenden Beiträge der Briten zum EU-Haushalt kompensieren. Für Deutschland liegen die zusätzlichen Ausgaben schätzungsweise bei etwa 2,5 Milliarden Euro brutto. Frankreich müsste knapp 1,9 Milliarden Euro mehr zahlen, Italien etwa 1,4 Milliarden Euro.

Großer Schock bleibt aus
Der monatliche Konjunkturbericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zeigt allerdings, dass der Euroraum deutlich widerstandsfähiger ist als gedacht. Der drohende Brexit wirkte sich zunächst kaum auf die Konjunkturdaten aus. Nachdem der Euroraum im ersten Quartal um 0,6 Prozent gewachsen ist, legte das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal immerhin noch um 0,3 Prozent zu. Ein möglicher Schock, wie beispielweise nach der Lehmann-Pleite im September 2008, blieb aus.
 
Ganz anders sieht es hingegen in Großbritannien aus. Es scheint, als habe sich das Mutterland des Fußballs wirtschaftlich ein Eigentor geschossen. Erste Stimmungstests unter britischen Verbrauchern und Unternehmen seien äußerst negativ ausgefallen, wie die FAZ berichtet. Demnach werde die britische Wirtschaft wohl erst einmal schrumpfen. Ungefähr die Hälfte aller britischen Im- und Exporte gehen aktuell an Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung könnte das britische Bruttoinlandsprodukt bis 2030 sogar um bis zu 14 Prozent schrumpfen.
 
Um den Konjunktureinbruch abzufedern, senkte die britische Notenbank zuletzt erstmals seit sieben Jahren wieder den Leitzins von 0,5 auf 0,25 Prozent. Als direkte Folge verlor das Pfund gegenüber dem Euro und Dollar an Wert. Experten rechnen auch in Zukunft mit einer weiteren Abwertung der britischen Währung. Und das könnte letztlich auch für deutsche Unternehmen zum Problem werden. Mit jeder weiteren Abwertung des Pfunds werden deutsche Exporte für die Briten teurer. Das könnte dann zu einem Rückgang der Nachfrage nach deutschen Produkten führen.

Weinkellerei erwartet keine Änderungen
Die Weinkellerei Schmitt Söhne aus Longuich pflegt seit vielen Jahren intensive Handelsbeziehungen zu Großbritannien. Als Thomas Schmitt 1984 die Geschäftsführung übernahm, gingen nur etwa 15 Prozent des Absatzes ins Ausland. Heute, 32 Jahre später, baut Schmitt mit rund 95 Prozent des Gesamtumsatzes fast ausschließlich auf Export. Es bleiben also nur fünf Prozent des produzierten Weins in Deutschland.

Großbritannien ist für den Geschäftsmann mit 25 Prozent aller Exporte der zweitwichtigste Handelspartner hinter den USA (48 Prozent). Platz drei belegt die Niederlande mit 15 Prozent. Den Austrittswunsch der Briten hat Schmitt gelassen aufgenommen: „Mein Bauchgefühl sagt mir, dass der Brexit keine großen Auswirkungen auf die Nachfrage haben wird“, sagt er. Auf die Preisstruktur allerdings schon.

Großbritannien auf Wein-Import angewiesen
Das begründet er so: Großbritannien ist selbst kein nennenswerter Produzent von Wein. Verliert das Pfund Sterling an Wert, wirkt sich das folglich auf alle ausländischen Weine gleichermaßen aus. Wein wird also insgesamt für die Briten teurer. Damit die Nachfrage spürbar zurückgeht, müssten dann viele Briten komplett auf Wein verzichten und stattdessen nur noch Bier trinken. „Das halte ich dann doch für sehr weit hergeholt“, sagt Schmitt. Ohnehin mache der Preis für den Wein nur ein Drittel des tatsächlichen Ladenpreises aus. Die britische Regierung könnte den Preis ganz leicht über die Höhe der Steuer anpassen. Dass das passiert, glaubt Schmitt aber nicht. „Ziel der Regierung ist es ja, dass die Bürger insgesamt weniger Alkohol konsumieren.“

„Deutscher Wein hat in Großbritannien ein Imageproblem“, sagt Schmitt. Die jungen Briten konnte die Branche noch nicht für sich gewinnen, die ältere „Weintrinker-Generation“ falle weg. 2015 exportierten Schmitt Söhne etwa vier Millionen Liter auf die Insel. Zu Beginn des Jahrtausends exportierte Schmitt rund dreimal so viel wie heute. Wein werde einfach nicht als Qualitätsprodukt wahrgenommen, sagt Schmitt: „Die Briten kaufen, was billig ist.“ Liege ein Wein über einem bestimmten Preisniveau, breche sofort die Nachfrage weg.
 
Als deutlich wichtiger beurteilt Schmitt die Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika. „Die USA hatten vor zehn Jahren Zölle auf ausländische Weine gelegt und sogar einen kompletten Einfuhrstopp angedroht.“ Dazu kam es letztlich nicht. „Das hat uns aber deutlich mehr Sorgen gemacht – das hätte sich richtig bemerkbar gemacht.“

USA trotz Barrieren wichtiger Handelspartner
Aktuell sind die USA für rheinland-pfälzische Firmen das zweitwichtigste Exportland: Knapp zehn Prozent aller Exporte gehen dorthin. Aber dennoch verkomplizieren viele Normen, Prüfungsverfahren und Zollvorschriften den Handel. Bürokratie und kostspielige Doppelzertifizierungen trotz oftmals gleichwertiger Sicherheits- und Qualitätsstandards sind die Folge.
 
Ganz konkret: „Um aktuell die unterschiedlichen Anforderungen zu erfüllen, sind beispielsweise aufwendige Zulassungsverfahren bis hin zur zweigleisigen Produktion nötig“, sagt Susanne Kant, Referentin International bei der Industrie- und Handelskammer Trier. Mit einem gegenseitigen Übereinkommen könnten Kosten minimiert und damit auch der Export in die USA gerade für kleine und mittelständische Unternehmen attraktiv werden.

TTIP soll Wirtschaft ankurbeln

Das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) soll die Wirtschaft sowohl in Europa als auch in den USA in Schwung bringen. Schätzungen gehen davon aus, dass der Reallohn in Deutschland um bis zu 1,6 Prozent steigen könnte. Verschiedene Studien rechnen zudem mit bis zu 180 000 neuen Jobs in den kommenden zehn bis 15 Jahren.

Erste Überlegungen zu TTIP gab es bereits in den frühen 1990er Jahren. Damals wollte man den wachsenden Volkswirtschaften in Asien begegnen. Kommt das Abkommen zustande, würde mit aktuell knapp 800 Millionen betroffenen Menschen ein gewaltiger Wirtschaftsraum geschaffen.

Bitburger Betrieb klagt über zu viel Bürokratie

Vor genau 20 Jahren hat die Bitburger Firma Petronik Automation Handelsbeziehungen mit den USA aufgenommen. Das bringt für die Geschäftsführer Gerlinde und Alois Petry immensen bürokratischen Aufwand mit sich. „Jedes Teil, das in die USA verkauft wird, muss ganz genau spezifiziert sein“, sagt Alois Petry. „Sonst hat man wegen zusätzlichen Anträgen sehr viel Arbeit.“
 
Die 1986 gegründete Petronik Automation GmbH exportiert jährlich Schalt- und Steuerungsanlagen im Wert von 500 000 bis zu einer Million Euro in die USA. Generell exportiert Petronik etwa 95 Prozent seiner Produktion. Nur fünf Prozent werden innerhalb Deutschlands verkauft. Neben Nordamerika sind auch Asien und der nahe Osten ein wichtiger Handelspartner für den Bitburger Betrieb.
 
In Houston, im US-Bundesstaat Texas, hat Petronik im Jahr 2000 sogar eine Tochterfirma gegründet. Ein Mitarbeiter arbeitet dort dauerhaft. Mit Handelsbarrieren hat das allerdings wenig zu tun. „Die Amerikaner haben einfach gerne einen amerikanischen Ansprechpartner“, sagt Alois Petry: „Den wollten wir ihnen bieten.“

Für den europäischen und asiatischen Markt fertigt Petronik seine Schalt- und Steuerungsanlagen nach der IEC-Norm. Für den nordamerikanischen Markt ist jedoch eine Zertifizierung nach dem UL-Standard notwendig. Ein Unterschied, der Petronik jährlich zwischen 7000 und 8000 Euro kostet. Zusätzlich dazu besichtigt die UL-Organisation die Bitburger Firma viermal im Jahr – das ist Teil des Zertifizierungsprozess.

Zügige Umsetzung erwünscht
Durch TTIP erhofft Alois Petry sich vor allem den Wegfall von Zöllen. Zurzeit führen seine Kunden in Amerika zwischen fünf und sechs Prozent an den amerikanischen Zoll ab. Welche Änderungen nun genau auf ihn zukommen könnten, weiß Alois Petry nicht: „Die ganzen Verhandlungen finden ja hinter verschlossenen Türen statt.“ Dennoch hofft er auf eine zügige Umsetzung des Abkommens. „Schlechter wird es bestimmt nicht.“

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